Sein Leben und Wirken

Seit den dreißiger Jahren verbrachte Nursi die meisten Jahre im inneren Exil oder in verschiedenen Gefängnissen innerhalb der Türkei, wo trotz strengster Überwachung sein Opus magnum, die Risale-i Nur (Lichtabhandlungen) entstand.

Said Nursi beeinflusste über viele Jahre jene große Zahl von Menschen, die zwar den politischen Kurs der türkischen Republik unterstützten, aber bewusst am tradierten Glauben, dem Islam festhalten wollten. So bewahrte Nursi zum einen die Traditionen und versöhnte sie andererseits mit dem wissenschaftlichen Denken der Moderne.

In einem zunehmend profanen, vom Atheismus und Totalitarismus geprägten Kontext jener Jahre erinnert er an Widerständler wie Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp und Leo Baeck. Während diese in den Industriegesellschaften wirkten, musste Nursi mehrere Milieus gleichzeitig ansprechen: die schlichten Menschen in den Dörfern, die unter gefährlichen Umständen seine Texte vervielfältigten; die schmale städtische Bevölkerung und den noch kleineren Kreis der Intellektuellen. Dass ihm dies gelang, zeigen heute sowohl die großen internationalen Symposien in aller Welt als auch die hohen Auflagen seines Werkes, die Risalei-Nur in über 50 Sprachen.

„Authentisch, auf eine originäre und originelle Weise, zeitgemäß und fernab von politischem Aktivismus bietet Said Nursi den Islam den Menschen an. Als Vorreiter dieser neuen Mission sagt er:

»Der Glaube an einen Schöpfer erhebt den Menschen vom Banalen zum Erhabenen. Glaube öffnet die Türen zur menschlichen Vervollkommnung und der Mensch begreift seinen Platz im Universum. Es veredelt sein Handeln.«

»Scharia, der Weg der Religion, besteht zu 99% aus Ethik, Gebet, Jenseits und Tugendhaftigkeit. Nur 1% ist Rechtsordnung. Und dies ist die Sache des Staates.«

Nach Nursi liegt das Geheimnis für ein besseres Zusammenleben im Erkennen des Schöpfungszwecks und im Begreifen der Prinzipien des Lebens. Gemäß ihnen ist der Mensch erschaffen, um Gott zu erkennen, an Ihn zu glauben und ihn anzubeten. Als sinngebende Werte für das Leben der Menschen sieht Said Nursi außerdem die Wissenschaft, Freiheit, Aufrichtigkeit, Hoffnung, Arbeit und Standhaftigkeit. Said Nursi setzt voraus:

»Ich bin gegen jede Art von Unterdrückung. Wo ich sie sehe, erhält sie von mir eine verbale Ohrfeige. Für mich ist die Unterdrückung der Wissenschaft das Schlimmste. Ich kann ohne Brot leben -aber nicht ohne Freiheit. «

»Nur in Freiheit kann alles gedeihen. Je mehr sich der Glaube entwickelt, desto edler wird die Freiheit.«

»Nicht mit Verboten, sondern durch geistig-wissenschaftliche Aufklärung der Menschen können Missstände und Missbrauch der Religion verhindert werden.«

Auf Hass, Feindseligkeiten, Streit, Zerstörung beruhende und ausgerichtete Auseinandersetzungen hat er nicht geduldet. Zerstören, vernichten, verbieten; solche Begriffe kommen in seinem Wortschatz der Auseinandersetzung nicht vor. In der Ausrufung der Wahrheit hat er ein Leben lang ausdauernd und beständig positives Handeln respektive angemessenes Verhalten vorgelebt und sich Hegemonien sowie Bestechungsversuchen widersetzt.

Nursi hebt in seinen Werken die Vergänglichkeit des Lebens hervor, sodass es sich nicht lohne, um die Welt zu streiten und sich gegenseitig zu hassen. Er ist der Meinung, dass es in einem Krieg keine Gewinner gibt und Frieden für die Menschheit das höchste Gut ist. Bescheidenheit und Askese war ein Teil seines Lebens. Nach ihm ist der wahre Reichtum nicht in den weltlichen Gütern, sondern im Herzen und im Geist zu finden. Das Universum ist in seiner Sprache ein großes Werk, das mit der Weisheit des Korans gelesen und betrachtet werden sollte. Es ist ein außergewöhnliches Kunstwerk Gottes.

Wenn man den Kosmos aus der Perspektive des Korans studiert, eröffnen sich Horizonte der Unendlichkeit. In jeder Zeile seiner Abhandlungen ist die Stimme des Universums zu hören, wie die Einheit und Zusammengehörigkeit symbolisierende Solidarität unter den Geschöpfen in Harmonie und Weisheit zu sehen ist. Der herrschende Grundsatz in seinem Leben zeugt von einem tiefen barmherzigen Verständnis. Trotz all des erfahrenen Leids und der Qualen war Nursi sein Leben lang verzeihend, sogar seinen Anklägern, die ihn zum Tode verurteilten, wünschte er Vergebung.

Er sagt:

»Wir haben drei Feinde. Diese sind Unwissenheit, Armut, Uneinigkeit. Ihnen werden wir mit Wissenschaft, Produktivität und Einigkeit entgegentreten.«

Es ist ersichtlich: Nursi hat sich nicht nur mit dem Menschen, sondern insbesondere mit den Dingen, die ihm schaden (Unwissenheit, Armut, Uneinigkeit) auseinandergesetzt.

Ein Thema, das er tiefgründig erörtert, ist der Unglaube und dessen zerstörerischer, vernichtender Charakter auf das Glück der Menschen. Er ist davon überzeugt, dass Glaube für die Menschheit ein unentbehrlicher Faktor und ein Schlüssel zur Zufriedenheit und Seelenruhe ist.

»Für den Dienst am Glauben und für das Wohl der Menschheit ist es notwendig, dass man die Streitthemen mit den anderen Religionen beiseitelegt und gemeinsam arbeitet und sich einsetzt.«

Durch seine Analysen hat er viele Menschen inspiriert, ist extremen Strömungen begegnet und hat das Verderben der Menschen durch Chaos und Anarchie verhindert.

Der Kern seiner Lösung war ein auf kritischen Fragen basierender bewusster und erforschter Glaube. Der Weg geht über Bildung; er motivierte die Menschen zum autodidaktischen Lesen und Lernen für das Verständnis der Grundfragen der Religion. Für ein besseres Begreifen der Grundfragen der Religion hat Said Nursi durch seine Arbeiten Türen geöffnet.

»Die Wissenschaft der Religion ist das Licht des Gewissens. Die Naturwissenschaft der Zivilisation ist der Strahl des Intellekts. Die Wahrheit wird offenbar durch die Vereinigung der beiden, was Ansporn und Initiative erweckt. Wenn sie getrennt sind, erscheint Ignoranz und Fanatismus in der Religion sowie Fehlschlüsse und Skeptizismus in der Wissenschaft.«

»Glaube weist auf Einheit. Einheit weist auf Ergebenheit. Ergebenheit führt zu Vertrauen und Geduld. Und dieses birgt das Glück der zwei Welten.«

Vor der Übertreibung und Untertreibung in der Religion rät Said Nursi eindringlich ab.

Er sieht Passivität und Untätigkeit als ein destruktives Verhalten. Dieses berge Resignation. Und Resignation führe zu Maßlosigkeit. Und Maßlosigkeit gebäre Verelendung.

Über die Nutzung der Logik und des Verstandes sagt er:

»Diese Welt ist eine Erfahrungswelt. Hierbei kann man dem Verstand die Tür öffnen. Den freien Willen aber darf man nicht antasten. Wenn jedoch in einem Menschen seine Emotionen und Instinkte die Oberhand haben, hört er das Urteil des Verstandes nicht.« []

[] Quelle: http://www.said-nursi.de/SaidNursi-Islamdenker.pdf/ abgerufen am 16.04.2020